Wir verstehen den Zufall nicht

Der Mensch sucht auch im Sinnlosen nach Sinn. Dazu kreiert er Hypothesen, die ihm die Dinge erklären. Und auch wenn diese Erklärungen ganz falsch sind, hält er daran fest, umso mehr als es sich um tradiertes, also seit Kindertagen tief verwurzeltes, Verhalten handelt.  Sinnsuche: „Der Mensch ist ein Wesen auf der Suche nach einem Sinn“ (Viktor Frankl) Man hat Probanden beauftragt herauszufinden, wie man zwei Tasten betätigen muss, um bei einem Glücksspielautomaten maximalen Erfolg zu haben. Die Probanden kamen alle auf eine Lösung, wenn auch alle zu einer anderen. Die richtige Antwort wäre aber gewesen, dass es gar keinen Zusammenhang gibt, denn die Tasten standen in keiner Weise mit dem Glücksspiel in Verbindung. Hypothesen: In einem eindrucksvollen Experiment mit Publikum im Wiener Stadtsaal zeigte Elisabeth Oberzaucher (Science Busters), wie leicht man auf esoterische und andere Behauptungen hereinfallen kann und es besser wäre, den Dingen auf den Grund zu gehen – oder eben zu schweigen, wenn man es nicht weiß. Ein Holzbalken wurde auf einem Tisch ausbalancierter und war in Schwebe. Die linke und rechte Saalhälfte wurde aufgefordert, mit tiefen beziehungsweise mit hohen Tönen zu summen. Nach wenigen Augenblicken neigte sich der Balkan auf die Seite der hohen Töne. Prompt gab es auch diesbezügliche Theorien des Publikums, die mit „Resonanz“ und „Schalldruck“ zu tun hatten; Erklärungen zwar, aber alle nicht richtig, denn im Holzbalken befand sich eine zähe Flüssigkeit, die sich nach dem Austarieren des Holzbalkens im Inneren verteilt hat und daher den Balken nach einigen Augenblicken zum Kippen brachte. 

Was hat das mit Fußball zu tun?

Alles! Wir wollen es einfach nicht wahrhaben, dass Dinge auch einmal ohne konkrete Ursache nicht so verlaufen, wie wir uns das vorstellen. (Sinnsuche) Wenn wir dann darunter leiden, dass Spiele nicht gewonnen oder gar verloren werden, dann erfinden wir die tollsten Ursachen für die sich zufällig ergebenden Torfolgen, die zu unseren Ungunsten ausfallen. (Hypothesen) Es ist ein schmaler Grat zwischen Sieg und Niederlage, besonders, wenn – wie im modernen Fußball – die Ausbildung der Spieler und Trainer auf einem gleichmäßig hohen Niveau erfolgt. Wie ein Spiel dann schließlich endet, entscheiden nicht die erworbenen Fähigkeiten allein, denn der Zufall spielt eine wichtige Rolle, wenn nicht die Hauptrolle. Ich weiß, dass viele diese Meinung nicht teilen.  Es gibt jene, die nach 2 Punkten in drei Spielen so ziemlich alle Beteiligten schuldig sprechen und es selbstverständlich immer schon gewusst haben, dass vom Präsidenten abwärts und diesen auch gleich eingeschlossen so ziemlich alle unwürdig sind, für Rapid zu arbeiten. Eine Art Kollektivschuld. Und im Grunde sind diese Anschuldigungen nichts anderes als Ausdruck von Hilflosigkeit. Es kommt mir so vor, als würde man auf See in einem Unwetter dem Kapitän und der Mannschaft die Kompetenz absprechen und meinen, man selbst wüsste, wie man das Steuerrad zu drehen habe, damit das Schiff nicht kentert. Dabei kann man aber als Landratte nicht einmal Backbord und Steuerbord unterscheiden.  Es gibt jene, die meinen, so ein Tor zu schießen, das wäre doch keine Sache, man muss es nur wirklich wollen.  Und dabei wäre doch alles so einfach. Hätten wir auch nur eine der Chancen gegen die Admira verwerten können, wäre nicht gegen Sturm Aluminium – wie so oft in diesem Jahr – im Weg gestanden usw., wir würden über alles andere lachen. Aber es ist nicht so. Und niemand kann diese Zufälligkeiten erklären, weil sie eben solche sind. Man muss sie nicht weiter deuten, jedenfalls nicht als einen Ausdruck von Unfähigkeit, denn genauer als exakt an die Stange kann man einen Ball nicht platzieren und dort soll er ja auch hin. Ein solcher Schuss ist ein Zeichen von höchster Präzision, nicht von Unvermögen. Wir neigen alle dazu, Vergangenes zu verklären. Immer wieder denke ich an Spiele mit Zoki zurück, die uns besser gefallen haben, verdrängen aber, dass wir vor zwei Jahren gleich zwei Mal zu Hause gegen die Admira kläglich gescheitert sind, dass wir im Februar 2016 alle drei laufenden Bewerbe verspielt haben und dass damals die Stimmen gegen den Trainer nicht so feindselig waren wie heute. Nehmen wir an, Rapid und Sturm sind sportlich gleichwertige Teams. Dann ist das Ergebnis offen. Das Ergebnis ist zufällig. Wenn eines der Teams Vorteile durch die Qualität der Spieler hat (Kaderwert), dann ändert sich die Siegwahrscheinlichkeit zugunsten dieses Teams. Wenn daher Rapid gegen die Admira spielt, ist Rapid der Favorit. Aber das ändert nichts daran, dass ein Klärungsversuch in der letzten Minute auch einmal ins eigene Tor gehen kann.  Es ist, als würde man mit einem leicht auf die 6 gezinkten Würfel spielen. Es kommen alle Zahlen, nur die 6 kommt ein bisschen häufiger. Ja, aber bei einem einzelnen Spiel weiß man das nicht, das bemerkt man erst nach 20 Spielen. Und hier liegt auch das Problem: wir haben nicht so viel Zeit, das auch wirklich zu erleben. Würden wir so lange warten, sind wir vielleicht schon abgestiegen; nicht weil wir gar so schlecht spielen, nein, weil der Zufall unerbittlich sein kann. Es kommen zwei schwere Spiele auf uns zu; LASK und Ried. (Bei Ried plädiere ich für eine Verschiebung um 14 Tage, weil wir mit Temperaturen weit unter dem Gefrierpunkt rechnen müssen und der Zeitpunkt für die Cupspiele nicht so wichtig ist.) Wenn sich das Drama von vor zwei Jahren wiederholt, rutschen wir auf den 5. Platz zurück und scheiden im Cup aus. Wie sagt der Slogan: „Alles ist möglich!“ Du spielst Roulette und es kommt: rot – rot – rot – rot – rot – rot – ? Und was kommt jetzt? Es wäre Zeit – meinst Du, dass einmal schwarz kommt und Du setzt auf schwarz. Aber es kommt rot! Es ist wie verhext. Leider unterstützen Tageszeitungen die Meinung, man könne dem Zufall ein Schnippchen schlagen. Die Krone publiziert die Häufigkeit alle Lottozahlen und die Lottospieler meinen, eine Zahl, die schon lange nicht an der Reihe war, müsse nun endlich wieder einmal gezogen werden. Es wird aber keine Regel verletzt, wenn es auch in den nächsten 10 Runden nicht der Fall ist.  Und weil das niemand versteht (sonst wäre es kein Zufall), aber niemand auf die zufällige Trendwende warten kann, müssen die Vereinsverantwortlichen irgendwann handeln, auch wenn diese Entscheidung nicht unbedingt rational ist.  Diese geringen Erfolge – auch wenn sie tatsächlich rein zufällig wären – haben leider die fatale Konsequenz, dass sie auf die zum Erfolg verdammten Akteure zurückwirken und tatsächlich ihre Motivation untergraben können. Wenn man die ganze Woche hart an etwas arbeitet und das Tor gelingt nicht und man kassiert umgekehrt eines durch einen Eigenfehler, dann wird man zunehmend mutlos, das kann ich mir gut vorstellen. Mir passiert das nicht! Wenn mir etwas nicht gelingen will, kann ich mehr Zeit in das aktuelle Projekt investieren und Dinge so oft korrigieren, bis sie einer gewünschten Qualität entsprechen. Genau das können Spieler nicht. Sie haben keine Zeit für weitere Versuche. Nach 90 Minuten ist Schluss. Sie haben ihre Leistung gebracht, waren aber glücklos. Die Reaktion des Sportdirektors zeigt auch eine gewisse Nervosität, unter der wir alle leiden. Dass er sich dazu hinreißen ließ, Philipp Schobesberger zu kritisieren, das kann ich nicht verstehen. Natürlich wollte Philipp dem Siebenhandl den Ball zwischen die Beine spielen aber der ist auch ein alter Hase und hat damit gerechnet. So ist das eben im Spiel mit einem ebenbürtigen Gegner. 

Glück des Tüchtigen?

Es kommt vor, dass Trainer mit ihrer Mannschaft einen Höhenflug erleben. Man freut sich und meint, das sei deshalb, weil eben die eigene Arbeit durch Siege belohnt wird. Das stärkt das Selbstvertrauen und lässt das Interesse erfolgloser Teams an den Akteuren steigen.  Was aber, wenn Siege (oder Titel) eben einfach „passiert“ sind? Dann ziehen die Verantwortlichen die falschen Schlüsse! Sie schließen vom Erfolg eines Trainers auf dessen Qualifikation. (Siehe Abwerbung von Josef Hickersberger durch den ÖFB und von Damir Canadi durch Rapid). Und genauso müssen umgekehrt ein paar erfolglose Spiele nicht gleich bedeuten, dass die Akteure ungeeignet sind.

Fußball ist ein Spiel und kein Hundertmeterlauf

Wir können die Goldmedaillen von Marcel Hirscher nicht gut mit Meistertiteln vergleichen. Marcel ist eine außergewöhnliche Begabung, ein Lionel Messi unter den Schifahrern. Er unterliegt aber den Zufälligkeiten des Lebens ebenso. Wäre er zum Beispiel an einer Grippe erkrankt, wäre es nichts mit den Goldenen und er wäre trotzdem der Beste.  Eine Disziplin, bei der es auf ein bestimmte Leistung ankommt, genügt es, der Schnellste zu sein, einen gegebenen Gegenstand möglichst weit zu werfen, den eigenen Körper möglichst hoch oder weit zu bewegen. Das ist im Fußball nicht der Fall. Wir können das auch daran ablesen, dass es keinen Sinn macht, Fußballer zu dopen. Das Doping hilft nämlich nichts, wenn der Ball an die Stange geht. Daher ist Doping im Fußball auch kein Thema. Fußball misst keine Leistung. Fußball misst den zufälligen Umstand eines Torerfolgs. Damit dieser passieren kann, muss eine gewisse Leistungsfähigkeit, Technik und Begabung (Liganiveau) vorhanden sein und diese Fähigkeiten sind in den verschiedenen Mannschaften sicher ganz verschieden verteilt. Würde es immer die Summe diese Eigenschaften sein, die den Ausschlag für einen Sieg ergeben, niemand würde sich Fußballspiele anschauen. Und genau deshalb, spielt der Zufall eine ganz wesentliche Rolle, weil er stärker ist als alles, was wir an Vorbereitung in einen Saison und in ein Spiel investieren können – zumindest bei Vereinen auf Augenhöhe.  Ein geplant herausgespieltes Tor darf – aus der Sicht des Gegners – nicht passieren. Wenn es dennoch gelingt, muss wirklich alles passen. Ein gut geplanter Angriff mit genau einstudierten Spielzügen ist herrlich anzuschauen. Aber er ist sehr selten. Wie viele erfolglose Szenen müssen wir erleiden, bis ein solches Meisterstück passiert!  Die meisten Tore sind auch gar nicht herausgespielt. Sie passieren durch eine ungeplante Verkettung von Ereignissen. Wäre der zufällig zu Boli gelangte Ball und dessen Weitschuss beim Spiel gegen Sturm in die Wolken gegangen, wen hätte es gewundert, es hätte zu dem gepasst, was wir immer schon über unser Team gedacht haben. Ein Fußballspiel ist wie ein Glücksspiel mit drei möglichen Ausgängen, die aber nicht gleich wahrscheinlich sind, weil alle Investitionen die Wahrscheinlichkeiten verschieben aber insgesamt nichts an dem zufälligen Charakter des Ergebnisses ändern. Wie groß diese Zufallskomponenten sind, wissen wir aus liga-übergreifenden Cupspielen, die den Underdog das eine oder andermal lachen sehen. Nicht oft, aber es kommt vor; so wie ein auf die Sechs gezinkter Würfel auch nicht immer auf die Sechs fällt.

Auch Titel sind Zufall

Titel passieren oft wie ein Stochertor, dass eben bei einem Team in einer Saison alles passt, wenige Verletzte zu beklagen sind und das Glück mitspielt. Ein dann stattfindender Erfolgslauf wirkt dann dem Zufall entgegen, indem er zusätzliche Motivatoren freisetzt, die bei durchschnittlichem Erfolg nicht gegeben sind. Meist entstehen aber Meistertitel wenn ein Team zu einer bestimmten Zeit gegenüber allen anderen aus irgendeinem Grund auszeichnet, zum Beispiel eine einmalige Konstellation begabter Spieler oder viel Geld, um solche Spieler kaufen und halten zu können. Dass also Salzburg Serienmeister ist, widerspricht der Zufälligkeit von Titeln nicht, weil der Spielwürfel auf eine geradezu unanständige Art mit eine 100 Millionen-Budget gezinkt ist und es daher kein Wunder ist, wenn diese Truppe alle anderen hinter sich lässt.

Das Feng-Shui der Veränderungen

Wenn es im Fußball talwärts geht und die Gründe sind nicht festzumachen (ausgenommen die vielen Teamchefs, die das dennoch ganz genau zu wissen glauben), wird oft eine unsichtbare Reißleine gezogen und der Trainer ersetzt. Oft hilft das auch! Es kann aber dieselbe Wirkung sein, die sich nach einer Feng-Shui-Beratung und umgestellter Wohnungseinrichtung einstellt. Eine Veränderung, die sich auf die eigene Psyche auswirkt, und tatsächlich etwas bewirkt. Aber es war mehr die Veränderung, die gut getan hat  und weniger die vorher ungeeignete Aufstellung der Wohnungseinrichtung. 

Zum Titel

Franz Lackner, Bischof in Salzburg, meinte am 20. Jänner, „Ich verstehe Gott zuweilen nicht“. Bei „Gott“ dürfte er ja Spezialist sein, im Leben dagegen weniger. Es würde genügen, sich etwas mehr mit der Welt auseinander zu setzen – und wenn es nur die des Fußballs ist – er würde rasch merken, dass nicht alles einen Grund hat und dass da niemand sonst die Finger im Spiel hat als Gott Zufall.

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