Fußball, Impfstoff gegen Nationalismus

oder „Warum Österreich so selten Fußballweltmeister wird“

Wie wird man Fußballweltmeister?

Um Fußballweltmeister zu werden, oder überhaupt, um einen großen Titel zu gewinnen, muss vieles zu einem bestimmten Zeitpunkt passen. Am besten hat man eine „goldene Generation“, ein „bisschen“ Glück und eine „fußballverrückte Nation“ im Rücken. Insbesondere diesem letzten Punkt wollen wir hier unsere Aufmerksamkeit schenken.

Nationalismus, eine Kinderkrankheit

Albert Einstein meinte: „Nationalismus ist eine Kinderkrankheit. Es sind die Masern der menschlichen Rasse.“ Nun ist aber unser aller Bestreben, Krankheiten zu bekämpfen, besonders die epidemischen. Vielleicht ist „Fußball“ jener Impfstoff, mit dem diese Kinderkrankheit „Nationalismus“ bekämpft werden kann, ohne dass sie sich lebensbedrohlich ausbreitet. Wie alle Impfstoffe ist auch der Fußball ein Stückchen von der Krankheit selbst Aber in kleinen Dosen verabreicht, lässt es den Organismus lernen, und sich gegen die eigentliche Erkrankung, den Nationalismus wehren. Bei den Krawallen in der Ottakringerstraße sehen wir, dass hier etwas ausgelöst wird, das man in der Gesellschaft eigentlich nicht braucht. Und es wird nicht nur jenen gezeigt, die ohnehin nichts von Fußball halten und es immer schon gewusst haben, sondern auch den direkt Beteiligten, die an den Auswirkungen ihres Tuns sehen können, dass solche Exzesse nicht einmal in diesem punktuellen Ausnahmezustand von irgendjemand gewünscht sein können. Nach der Impfung mit dem Impfstoff „WM-2018“ gibt es also eventuell die eine oder andere kleine Reaktion aber dann kann es schon weiter gehen: „business as usual“ und wieder ist man für vier Jahre bis zur nächsten „Auffrischungsimpfung“, mit dem Impfstoff „WM-2012-Katar“ immunisiert.

Kleines Land, ganz groß

Wenn auch Vereine der kleinen Fußballnationen selten die Champions-League gewinnen, können diese Länder bei der WM beachtlich weit kommen, weil ihre gut ausgebildeten Spieler in die großen Ligen drängen und dort zur Weltspitze aufschließen können. Österreich ist auf einem guten Weg, zu Schweden und Schweiz aufzuschließen. Es fehlt noch ein bisschen die Kontinuität aber das kann noch werden.

„Fußballverrückt“

Aber in einem Ranking der „fußballverrückten Nation“ würden wir nicht so gut abschneiden, ich fürchte fast, dass wir in diesem Ranking zu den Schlusslichtern gehören. Bei einem Spiel, das Uruguay in den letzten Minuten gewonnen hat, zeigte ein Amateurfilmer das Verhalten einer Schulklasse in Montevideo. Die Kinder starrten fasziniert auf den Fernseher (ein eher langweiliges Spiel) und als das Tor fiel, kannte die Freude keine Grenzen, alle Kinder liefen ins Freie, um der ganzen Welt den Sieg zu verkünden. Ich kann mir eine solche Szene in Österreich nicht gut vorstellen, denn es genügt ja nicht, dass die Kinder fußballbegeistert sind, auch die Lehrerin muss es schon sein, um eine solche Szene überhaupt erst ermöglichen. Vergleicht man die EURO 2004 in Portugal mit der EURO 2008 in Österreich, und dort insbesondere die Anzahl der gebauten oder adaptierten Spielstätten, dann hat man den Eindruck, als wäre Portugal das reichere Land. Hier sehen wir schon einen Grund, warum Österreich nicht Weltmeister werden kann: weil in Österreich die einzigartige Chance einer Europameisterschaft nicht genutzt wird, um dem Fußball weiter zu helfen. Alle Bemühungen der Fußballprotagonisten genügen nicht, wenn nicht der Staat den Fußball in dieser Zeit priorisiert. Aber warum ist das so? Warum nutzt Österreich den Fußball zu wenig, seine nationale Indentität zu stärken, so wie das etwa in Belgien oder in Kroatien der Fall ist? Die kurze Antwort ist, dass eine solche nationale Identität aus historischen Gründen in Österreich zu wenig ausgebildet ist.

Österreich ist zuwenig Nation

Bei einer Nation dürfte es darum gehen, dass Menschen sich zu der Idee eines Landes bekennen. Das kann auf der Basis einer gemeinsamen Sprache sein, einer gemeinsamen Geschichte oder es entsteht einfach willkürlich durch Grenzziehung. Daher sind neuerdings die Burgenländer zu Österreichern und die Ödenburger zu Ungarn geworden. Warum nun das „Österreich“ bei den Österreichern eine zu wenig anerkannte Größe ist, hat historische Gründe. Um das zu erklären, muss man die Entstehung unseres Landes als Teil von Österreich-Ungarn betrachten. Im 19. Jahrhundert gab es in allen Ländern des Österreichisch-Ungarischen Kosmos Unabhängigkeitsbestrebungen, wie Kroatien, Böhmen, Italien usw., die sich in nationalistischen Bewegungen zeigten. Das deutschsprachige Gebiet unserer heutigen Bundesländer war aber anders. Auch hier gab es einen Nationalismus aber keinen Österreich-Nationalismus, sondern einen Deutsch-Nationalismus. Und der Grund war der Ausschluss Österreichs aus dem Deutschen Bund nach 1866. Niemand in Österreich hatte eine Idee von einem Staat Österreich, nur die Idee einer Vereinigung mit Deutschland wurde als denkmöglich angesehen. Während also alle späteren Nachfolgestaaten an der Idee ihrer jeweiligen Nation arbeiteten, gab es in Österreich nur die Idee vom Anschluss. Daher nannte man 1918 die Erste Republik auch „Deutsch-Österreich“, was später durch die Siegermächte zur „Republik Österreich“ umbenannt wurde. In der Zweiten Republik hat sich vieles zum Besseren gewendet, hat man mit der Ankunft von Karl Schranz aus Japan, den Siegen von Annemarie Moser-Pröll, Franz Klammer, Hermann Maier, Jochen Rindt mit einem Kulturkitt aus Mozartkugel und Sängerknaben eine doch ziemlich unverwechselbare Marke geschaffen, die durch „Insel der Seligen“ auch noch einen Heiligenschein bekommen hat. Aber der Fußball scheint in dieser Liste der Austriazismen nicht auf, wenigstens nicht weit vorne. Wenn man sich umschaut, ist so etwas wie ein klares Bekenntnis zu Österreich weniger zu erkennen, als ein Meckern über die hiesigen Zustände. Helmut Andisch betitelt sein 1989 erschienenes Buch mit „Der Staat, den keiner wollte“. Und dieses Gefühl war in weiten Teilen der Bevölkerung genau in dieser Form präsent.

Nationenbildender Fußball

Eigentlich war das erste österreichische Wunderteam unter Hugo Meisl eine beachtliche Reaktion auf den Bedeutungsniedergang des Staates. Die Erfolge der Nationalmannschaft sagten so etwas wie „man zählt wieder etwas in Europa – und wenn es nur im Fußball ist“. Es erinnert an die heutigen Erfolge der Kroaten, die mit dem Fußball die zähe Aufholjagd in der Wirtschaft vergessen machen. Das zweite Wunderteam 1954 wurde dann schon in einer – aus heutiger Sicht – unverständlichen Selbstüberschätzung teilweise verhöhnt, weil man „nur den dritten Platz“ in der Weltmeisterschaft in der Schweiz erreicht hat. Und jemandem, der den dritten Platz bei der WM nicht schätzt, ist wohl der fußballerische Niedergang im Zuge der weiteren östereichischen Fußballgeschichte ein Beweis, dass der österreichische Fußball nichts wert sei und damit auch die österreichische Nation, die es – blickt man auf das 19. Jahrhundert zurück – gar nicht hätte geben sollen. Und daher fehlt dem österreichischen Fußball dieser nationale Rückhalt, weil sich die Menschen zu wenig mit ihrem Land und zu wenig mit ihren Fußballern identifizieren. Es geht dabei nicht um die begeisterten Fans, die das Stadion füllen; das genügt heute nicht mehr, jenes Kollektiv zu bilden, aus dem Weltmeister gemacht werden; da braucht es einen Rückhalt, ähnlich wie er in Belgien oder Kroatien gegeben ist, einen Rückhalt durch das ganze Land. Dazu kommt, das Österreich bei Begegnungen gegen die Türkei, Kroatien, Serbien und sogar gegen Albanien im Happel-Stadion wie in einem Auswärtsspiel antritt, weil wir diesen Nationalismen der jeweiligen Gegner, die ihrerseits schon langsam langweilig werden (aber das ist wieder ein anderes Thema), wenig Gleichwertiges entgegenzusetzen haben als eben den Radetzkymarsch vor Beginn des Spiels. Und von diesem Radetzkymarsch erzählte man, dass leichter gewesen wäre, bei diesen Klängen im Kampf zu sterben. Für einen WM-Titel muss eben alles passen, auch der nationale Rückhalt. Ob es ein Aspekt im Ausscheiden der deutschen Mannschaft ist, kann natürlich niemand sagen, aber die These der gut integrierten Migranten-Kinder bei der WM-2006 ist im Vorfeld der WM-2018 durch dir Aktion von Özil und Gündogan in Wanken geraten und wer weiß, ob solche Nationalismen nicht auch der Nährboden für ein verändertes Klima im Nationalteam sind, die dann jene Spielweise bewirken, mit der auch gegen Südkorea nicht gewonnen werden kann.

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