Babyelefant

Fußball strukturiert unser Leben.

Angesichts der Corona-Krise gehen dem Fußball bald die Themen aus, man könnte fast sagen, der Lebensnerv. Nur die allwöchentliche Rapidviertelstunde ist eine Erinnerung an bessere Zeiten. Und auch die hartgesottensten Anhänger müssen an den Wochenenden ungewohnten Dingen nachgehen. Die Fialas entdecken die Stadt, ihre Umgebung, und wir werden darin bestätigt, dass wir nicht nur Anhänger des besten Fußballklubs der Welt sind – so wie das auch beim Heimfilmabend im Anschluss an das unglücklich verlorene Finale einer der Fans im Interview ausgedrückt hat – sondern dass wir auch in einer der lebenswertesten Städte der Welt leben.

Dass wir alle eine Fortsetzung des Spielbetriebs herbeisehnen, ist klar. Aber die Rahmenbedingungen sprechen eher gegen eine Fortsetzung des Ligabetriebs – auch in Form von Gesterspielen – und gegen volle Zuschauerränge natürlich sowieso. Es sei denn, die Bundesliga schafft es, dem Gesundheitsminister akzeptable Bedingungen vorzuschlagen.

Bei einem Termin im Gesundheitsministerium wurde folgendes vereinbart:
„Hinsichtlich der Quarantänemaßnahmen wurde festgehalten, dass positiv getestete Personen und deren Kontaktpersonen in Quarantäne müssen.“

Regel und Ausnahmen

Regel: Babyelefant

Der Fortsetzung des Spielbetriebs steht die Abstandsregel entgegen, nach der ein Babyelefant zwischen zwei Personen Platz haben soll, natürlich auch zwischen Fußballspielern. Daher findet derzeit auch der Trainingsbetrieb in Kleingruppen statt.

Laut Wikipedia ist der Babyelefant bei der Geburt ohne Rüssel tatsächlich gerade einen Meter groß. Und der soll in jeder Alltagssituation zwischen zwei Personen passen. Wenn diese Distanz eingehalten wird, sind Ansteckungen unwahrscheinlich. Aber es gibt Ausnahmen:

Ausnahme 1: Schutzkleidung

Da aber gewisse persönliche Dienstleistungen wie zum Beispiel in der Pflege und der Medizin, nicht möglich wären, kann diese Regel durch das Tragen von Schutzkleidung umgangen werden.

Ausnahme 2: PCR-Test mit Quarantänepflicht

Und wenn eine Schutzkleidung nicht möglich ist, müssen such die Akteure einem PCR-Test unterziehen. Ist dieser Test negativ, können sie Körperkontakt haben. Die Sache hat allerdings einen Haken, denn wenn beim nächsten Test jemand positiv getestet wird, werden in einem Contact Tracing (Rückverfolgung von Infektionsketten) die Kontaktpersonen der letzten Tage erfasst, und diese Personen müssen sich dann in Quarantäne begeben.

Ausnahme 3: Quarantänebetrieb

Einige wichtige Institutionen wie zum Beispiel die Energieversorger und das Fernsehen haben einen schichtweisen Betrieb unter Quarantänebedingungen eingeführt, der sicherstellt, dass eine kasernierte Besatzung den Betrieb störungsfrei aufrecht erhalten kann – auch ohne die ansonsten geltende Abstandsregel.

Fußball und Kunst

Die seltsamen Parallelen zwischen Fußball und Kunst waren immer schon für einen Artikel gut, und wenn dieser Artikel nur dazu gedient hätte, meinem ungläubigen Fußballfreund Arnold diese Gemeinsamkeiten aufzuzählen. Dass ein Virus dieses gemeinsame Schicksal so verschiedener Welten aufzeigt. ist fast schon kitschig dramatisch.

Fußball und darstellende Kunst befinden sich in einer seltsamen Allianz, denn beide leben von großen Zuschauerzahlen und beide benötigen in der Darstellung körperliche Nähe der Akteure und beides widerspricht der Abstandsregel mit dem Babyelefanten. Wendet man die Ausnahme 2 „PCR-Test“ an, besteht die Gefahr, dass eine Ansteckung diagnostiziert wird und dadurch der Betroffene und mit ihm alle Kontaktpersonen in Quarantäne gehen müssen. Beim Fußball bedeutet das praktisch das vorzeitige Saisonende für den betroffenen Verein, und – wenn in der unmittelbaren Vergangenheit ein Spiel stattgefunden hat, was bei englischen Wochen der Fall wäre – auch des gegnerischen Vereins.

Aus diesem Dilemma scheint es keinen Ausweg zu geben, außer eben dieses Risiko auf sich zu nehmen und als Vorsichtsmaßnahme die betroffenen Akteure zu einer extremen Isolation zu verpflichten. Aber allein durch unvermeidbare familiäre Kontakte wird auch dadurch das Risiko nicht auf Null reduziert.

Christian Ebenbauer hat in einem Interview von Russischem Roulette gesprochen, das man bei Durchführung der Playoffs eingehen würde. Aber wie wahrscheinlich wäre ein solcher Abbruch?

Wie groß ist das Risiko eines Abbruchs?

Das Folgende ist eine „Milchmädchenrechnung“, der für alle Österreicher eine gleiche Chance auf Infektion zugrunde legt. Das ist in der Realität nicht der Fall. Wer allein zu Hause lebt, kann nicht angesteckt werden. Auch nicht jemand, der die Abstandsregeln einhält und Menschenansammlungen meidet. Spieler werden dazu angehalten, sich so zu verhalten.

Dagegen sind Menschen in Arbeitsprozessen oder mit Kundenkontakt deutlich mehr exponiert. Sicher gehören auch Fußballspieler mit ihren zahlreichen Terminen im Fernsehen und bei Sponsoren zu diesem exponierten Personenkreis.

Alles das wird hier nicht betrachtet, alle sollen dieselbe Wahrscheinlichkeit zur Ansteckung haben, und daher das Ergebnis höchstens als Anhaltspunkt zu betrachten.

An einem Tag

An einem Tag werden in Österreich zwischen 50 und 100 Neuinfektionen registriert, sagen wir 80. Die Wahrscheinlichkeit, dass man einer dieser Betroffenen ist, ist sehr gering: 80/8000000 = 0,00001 oder 0,01 Promille.

In 60 Tagen

Die Spiele der Bundesliga wären für den Zeitraum Juni-Juli geplant, also für 60 Tage.

In einem Zeitraum von 60 Tagen gibt es ca. 6000 Infektionen, sagen wir 8.000 (die Fallzahl wird wegen der aktuellen Lockerungen zunehmen). Die Wahrscheinlichkeit, sich in diesem Zeitraum zu infizieren, liegt bei etwa 1 Promille.

Menschengruppen

Betrachtet man eine Gruppe von Menschen, dann addieren sich die Wahrscheinlichkeiten der Einzelpersonen. Die Wahrscheinlichkeit, dass sich jemand aus einer dreiköpfigen Familie in 60 Tagen infiziert liegt daher bei 3 Promille. Diese Personen müssen bei der Ansteckung eines Einzelnen Familienmitglieds in Quarantäne, um die Infektionskette zu unterbrechen.

Bundesliga Playoff

Wie ist das beim Fußball?

In zwei Monaten (Juni und Juli) sollen die restlichen Spiele der Bundesliga gespielt werden. Es gibt 12 Teams. Die Kadergröße eines Teams sei 25. Die betroffene Personengruppe umfasst 300 Personen (25×12). Die Wahrscheinlichkeit, dass sich eine irgendeine Person dieser Gruppe in einem Zeitraum von 60 Tagen ansteckt, liegt bei 300 Promille oder 30 Prozent.

Wenn nun Spieler durch besonders disziplinierte Umgangsformen das 60-tägige Ansteckungsrisiko von 1 Promille senken, würde das natürlich die geschätzten 30 Prozent ebenso stark absenken, aber ein Restrisiko bleibt dennoch.

Ausweg: Quarantäne

Ein Ausweg könnte sein, dass man die Spieler – ähnlich wie das bei RB-Leipzig praktiziert werden wird (Bericht Bild-Zeitung) – in einer Quarantäne kaserniert, ähnlich wie das beim ORF und den Wiener Netzen der Fall war. Eine solche drastische Einschränkung der Lebensart könnte die Geisterspiele realistischer machen, weil natürlich die Ansteckungswahrscheinlichkeit – zumindest theoretisch – auf Null reduziert werden könnte.

Aber auch wenn eine solche Abwicklung gelingen könnte, wäre das höchstens eine Lösung für den Rest der Saison aber kein realistisches Modell für die zukünftige Meisterschaft.

Ein historischer Rückblick

Die Auswirkungen der spanischen Grippe in Österreich 1918 waren verheerend. Die Wiener Zeitung berichtet in einem Nachdruck von 900 Toten in einer Woche im Oktober 1918 und insgesamt 6500 Toten zwischen 1918 und 1920.

Es ist bemerkenswert, dass man damals ganz ähnliche Maßnahmen wie heute getroffen hat, also zum Beispiel Schulschließungen, aber so konsequent, dass man auch den Fußballbetrieb eingestellt hätte, war man damals nicht.

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