Von Luftballons und Litfaßsäulen

Jetzt ist die Saure-Gurken-Zeit des Fußballs und das ausgelassene Fest des Jahreswechsels soll der Anlass sein, sich über Extreme im Fußball Gedanken zu machen. Im Ballesterer 108, Jänner/Februar 2016, sieht man auf Seite 41 eine „Fieberkurve“ der jeweils höchsten Transfersummen zwischen 1995, dem Jahr des Bosman-Urteils und 2015. Die Spitzen sind die Transfers von Zinedine Zidane, Cristiano Ronaldo und Garret Bale. Diese Kurve erinnert sehr an spekulative Kursverläufe der Börse und man fragt sich – ganz ähnlich wie Börsianer – ob das jetzt so weiter gehen wird oder ob es bei diesen ständigen Steigerungen auch einmal zu so etwas wie einer Trendumkehr kommen kann.

3.500 Euro pro Stunde

2014/15 betrug laut „Fussball-Geld.de“ das Gehalt von Franck Ribéry und Mario Götze 12 und von Philipp Lahm und Bastian Schweinsteiger 10 Millionen Euro. Setzen wir eine 40-Stunden-Woche und 8 Wochen Urlaub voraus, ergibt das eine Arbeitszeit von (52-8)*40=1.769 Stunden und daher pro Stunde 6.783 Euro. Da es sich bei den Zahlen um Bruttogehälter handelt, wird man die Hälfte abziehen müssen. Allerdings verdienen auch dann die Spieler in der Stunde mehr als die meisten von uns im ganzen Monat.

795 Euro pro Sekunde

2011 berechnete „Heute“, dass Samuel Eto’o  795 Euro pro Sekunde verdient hätte. (Ganz stimmt die Rechnung nicht, diese Zahl bezog sich auf die Einsatzminuten. Aber ein Spieler wird ja nicht nur für Einsatzminuten sondern auch für die Vorbereitung dazu, die Termine im Auftrag des Vereins und der Sponsoren uvam. bezahlt. Aber auch, wenn man all das einberechnet, sind die Summen völlig außerhalb normalbürgerlicher Vorstellungen.

80 Millionen gerechtfertigt

2009 bezeichnete Ronaldo die Transfersumme von 94 Millionen Euro (80 Millionen Pfund) als „gerechtfertigt“.

Nur im Fußball?

Diese Gehaltsdimensionen und Ablösesummen erinnern an den Verkauf von Kunstwerken, an Managergehälter und an die ungleiche Verteilung des Wohlstands. Immer, wenn Fußballspieler um riesige Beträge über den Ladentisch gehen, fragen wir uns alle, ob denn dieser Spieler auch um so viel mehr kann, als die Spieler rund um ihn.

Was ist daher der Wert eines Spielers?

Das ist jener Betrag, den jemand bereit ist, für ihn zu zahlen.

Kann dieser Spieler so viel mehr als seine Kollegen?

Diese so begehrten Spieler sind unbestreitbar Könner in ihrem Fach. Aber was diese Gehälter und Ablösesummen betrifft, ist ihr Können nicht das Wesentliche. Wichtig ist ja nur, dass der Spieler dem jeweiligen Käufer diese Summe wert ist. Ich habe einmal gehört, dass die Ablösesumme von Cristiano Ronaldo, die Real Madrid an Manchester gezahlt hat, sich allein durch den weltweiten Vertrieb der Merchandising-Artikel mehr als bezahlt gemacht hat.

Sind teurere Spieler besser?

Sind teurere Produkte besser? Es kann sein, es muss aber nicht sein. Das kann man ja am auch schon an Kleidung beobachten. Kaum ziert ein Krokodil das Leiberl, kostet es auch schon viel mehr. Hat es also ein Spieler geschafft, in eine prominente Mannschaft zu kommen, steigt sein Wert allein durch das Logo des Vereins. Ganz so wie beim Krokodil.

Wie wird der Wert eines Spielers ermittelt?

So wie der Wert anderer (nicht preisregulierter) Waren auch. Aus dem Gleichgewicht zwischen Angebot und Nachfrage.

Wie relativ doch ein Wert sein kann

Wie viel ist es zum Beispiel wert, gemeinsam mit einem Fußballspieler mit dem Moped einen Ausflug zu unternehmen? Das hängt ein bisschen davon ab, wen man fragt.
  • Wer mit ihm befreundet ist, zahlt dafür gar nichts.
  • Ich wäre überhaupt froh, nicht mitfahren zu müssen.
  • Wer aber dazugehören will, zum Beispiel jene junge Dame, die sich schließlich bei der Versteigerung durchgesetzt hat, muss 4.000,- bei Rapid abgeben, um dabei sein zu können. Dieser Preis wurde nicht seitens Rapid festgelegt, sondern war das Ergebnis einer Auktion.
Bei einem Poker um einen begehrten Spieler ist das nicht viel anders. Es wird nicht publikumswirksam und öffentlich versteigert, sondern es laufen die Telefone zwischen den Bietern und dem abgebenden Verein heiß, vielleicht gibt’s ja auch eine Skype-Konferenz.

Warum sind die Summen so hoch?

Weil genug Geld da ist. Und es ist dabei belanglos, ob das Geld aus der Portokasse eines Oligarchen oder aus dem Marketingbudget eines Konzerns oder dem unstillbaren Verlangen eines ganzen Landes nach Titeln kommt oder einfach, weil ein Verein erfolgreich ist und auch gut wirtschaftet und eben daher genug Geld hat. Bei der Auktion der Rapid-Weihnachtsfeier um die Moped-Fahrt mit einem Spieler steigerten nicht Mitglieder wie Du und ich sondern es boten die Bewohner des „ersten Stocks“. Es war also Geld da. Hätten wir, die einfachen Mitglieder geboten, hätte man vielleicht 400 Euro erzielt, aber wenn Geld da ist, (und keine Rolle spielt), sind es eben 4.000 Euro geworden. Wenn daher Vereine mit großem Budget um Spieler buhlen, dann ist eben viel Geld im Spiel; mehr als bei der Rapid-Weihnachtsfeier. Geld, das wir, die Masse der Anhänger, direkt oder indirekt dem Verein in die Kassa spülen. Das Geld haben Vereine durch Einnahmen aus Sponsoring, Merchandising, Ticketing und den Verkauf von Fernsehrechten. Und diese Einnahmen können Vereine lukrieren, weil es so viel Interesse am Fußball gibt. Weil die Spiele in den Stadien ausverkauft sind und dadurch die Preise in die Höhe getrieben werden; weil wir brav die Fernseher aufdrehen und damit die Kosten für die Übertragungsrechte steigen und steigen. Das Fernsehgeld verwaltet und verteilt die UEFA. Mit der bekannten Folge, dass die reichen Vereine durch die Ausschüttungen immer reicher werden und alle anderen sich auf der Popularitätspyramide des Fußballes ziemlich vergeblich abstrampeln aber die Spitze nie erreichen können oder bestenfalls zufällig einmal. Und diese Spirale dreht sich (derzeit) eher noch nach oben, denn nach unten.

Fußball, eine Blase?

Diese astronomischen Preise machen den Eindruck, als würde es sich um eine Spekulationsblase handeln. Bei diesen Blasen kommt es durch irrationale Gewinnerwartungen zu einem enormen Preisanstieg, bis der Finanzluftballon zerplatzt und viel Geld den Besitzer wechselt. Die erste historisch belegte Spekulationsblase war die Tulpenzwiebelspekulation von 1637. Schon seit ihrem ersten Auftauchen etwa um 1580 war eine Tulpe in den Niederlanden ein Liebhaberobjekt und die Preise für besondere Sorten stiegen immer wieder in große Höhen. Aber zwischen Dezember 1636 und Februar 1637 stiegen die Preise von Tulpenzwiebeln auf Werte, die ein Vielfaches eines Jahresgehaltes ausmachten. Im Februar 1637 war dann der Spuk vorbei. Der Preis der Tulpenzwiebeln war nicht (wie beim Fußball) allein wegen der Begehrlichkeit in die Höhe geschnellt, sondern wegen Finanzspekulationen, die diese Preisanstiege angeheizt haben. Als dann aber nach dem 3. Februar 1637 niemand mehr bei den Auktionen mitgezogen hat, fielen die Preise wieder auf ein Normalniveau und viele dieser Tulpenspekulanten verloren oft ihr ganzes Vermögen. Am Beginn einer Spekulationsblase steht eine Unwahrheit, so wie im Märchen „Des Kaisers neue Kleider“ von H.C. nicht dem, nein, dem anderen (Andersen). Als dann am Ende das Kind fragt, warum denn der Kaiser nackt durch die Gegend spaziert, platzt die Blase. Übertragen auf die Niederlande ist die Frage des Kindes, warum man denn bereit war, für eine ganz normale Zwiebel 2.500 Gulden zu zahlen oder warum man 2008 für Immobilienfonds viel Geld hinlegen sollte, wo doch kein vernünftiger Gegenwert dahinter steckte und eben warum man für einen Fußballspieler 80 Millionen Euro zahlen soll, wo er doch auch nur zwei Beine hat. Aber allein die kindliche Frage, dass es ja nur ein Fußballspieler wäre, reicht beim Fußball nicht. Und zwar, weil die „Luft“ beim Fußball nicht spekulativ ist; es gibt keine Gewinnerwartung für unbeteiligte Investoren. Oder besser gesagt: bisher waren die großen Transfers immer auch sportlich erfolgreich.

Fußball, eine Litfaßsäule!

Die Preisbildung im Zusammenhang mit der Entlohnung und dem Transfer von Fußballspielern erinnert vielmehr an aufblasbare Litfaßsäulen, wie sie auch von Rapid an den Eingängen eines Veranstaltungsraums verwendet werden. Im Normalfall, also ohne Luft, passt die Säule in einen Koffer. Das ist ein normaler Spieler abseits vom internationalen Parkett. Durch die Nachfrage (Luftzufuhr) steigt der Preis und die Säule ist hoch. Würde die Nachfrage ausbleiben, schaute das aufgeblasene Objekt ziemlich traurig aus und sänken die Preise von Fußballgrößen wieder auf ihr ursprüngliches Maß. litfass Durch den dauernden Nachschub von Luft macht es nichts weiter aus, wenn man eine dieser Litfaßsäulen ansticht und meint (wie das Kind im Märchen) es wäre ja nur heiße Luft, die die Preise nach oben treibt. Wegen des dauernden Luftnachschubs passiert bei kleinen Löschern zunächst gar nichts, denn es gehört zur normalen Funktion der Litfaßsäule, dass oben eine Luftaustrittsöffnung ist. Nur, wenn die Luft (das Geld) ausbleibt oder wenn das Loch sehr groß ist und unten, kann das der künstlichen Säule etwas anhaben.

Wo Geld ist, sind die Preise hoch

Wo Leute mit dicken Brieftaschen verkehren, steigt der Preis. Man muss sich nur als Favoritner, der es gewöhnt ist, sein Menü beim Duran am Viktor Adler Markt zu kaufen, in die Innere Stadt, nach Kitzbühel oder Zell am See verirren und schon merkt man den Unterschied. Wo betuchte Gäste verkehren, steigen die Preise. Das wusste auch Gosciny im Asterix-Band 18, „Die Lorbeeren des Cäsar“. Die beiden Gallier wollten in den Palast von Cäsar gelangen und da man bei Cäsars nur beim noblen Sklavenhändler Tifus einkauft, mussten sie sich eben dort als Sklaven anbieten. Und die Preise für die Sklaven von Tifus entsprachen den finanziellen Möglichkeiten seiner betuchten Kunden. Das passiert natürlich auch, wenn zum Beispiel ein Rapid-Scout in einer unteren Liga gesichtet wird oder wenn sich umgekehrt ausländische Scouts für ein Rapid-Talent interessieren. Dieses Interesse jeweils reicherer Interessenten lässt die Preise sprunghaft steigen. Fußballer gibt es in allen Preislagen. Wenn Milliardäre einen verspielten Charakter haben und vielleicht als Kinder zu wenig Zuwendung bekommen haben und unbedingt Champions-League-Sieger werden wollen und gleichzeitig ein fußballverrücktes Land als Mitbewerber auftritt, bei dem das Geld keine Rolle spielt, dann steigt der Preis in Regionen, die man als Zuschauer nicht mehr versteht. Nicht, dass hier bestritten werden soll, dass ein Ronaldo, ein Messi und wie sie sonst alle heißen, nicht begnadete Fußballspieler wären; aber das kommt in allen Disziplinen vor, dass es Ausnahmekönner gibt, die auch zum Beispiel besser entlohnt werden als andere; längst sind es aber nicht solche Unterschiede wie es am Markt der Fußballer der Fall ist. Nehmen wir einmal an, jemand wäre ein einfacher Büromensch, zum Beispiel ein EDV-Spezialist. Solche EDV-Leute sind sehr universell einsetzbar und sie könnten sowohl bei Rapid, als auch bei Zielpunkt/Billa/Spar oder aber auch bei einer Bank, und auch in der Nationalbank arbeiten. Es sind immer dieselben JobaspirantInnen, ihre Arbeit praktisch auch, nicht aber ihr Gehalt. Bei Rapid zum Beispiel spielt immer auch mit, dass es eine Ehre wäre, für den Verein tätig zu sein. Bei Zielpunkt/Billa/Spar gibt es solche Voraussetzungen weniger. Bei Firmen, die mit Geld handeln, steigt sonderbarer Weise auch der Gehalt für sonst ähnliche Tätigkeiten. Warum? Weil das Geld da ist! Aber bei allen Ungleichheiten der Entlohnung von Hacklern, die Unterschiede sind nie so groß wie im Fußballgeschäft. Der Markt der Fußballspieler ist wie eine aufblasbare Litfaßsäule, die durch den Wunsch der Menschen, zu den Siegern zählen zu wollen, gespeist wird. Solange es also die Marketingstrategie von RedBull ist, Spitzensport zu vereinnahmen, solange Oligarchen keine andere Sorgen haben als Championsleague-Sieger sein zu wollen, nicht zu vergessen die Millionen Fans, die ihren Verein am Podest sehen wollen, solange wird die Litfaßsäule des Erfolgs durch ausreichend (Geld)luft aufgeblasen. Wir haben es selbst in der Hand, wir selbst sind der Zeremonienmeister, der die Macht hätte, die Luft in der Litfaßsäule des Fußballs zu drosseln. Dazu müssen wir nur den Fußballkanal seltener aufdrehen oder weniger oft ins Stadion gehen. Dann sinken alle diese Einnahmen, Vereine haben weniger Geld und das Ranking der Top-Vereine verschiebt sich zugunsten jener Klubs, deren Geldgeber von diesen Mechanismen nicht so stark abhängen und die nicht von Oligarchen oder Firmenimperien finanziert werden. Dann aber ist es auch nicht mehr ganz so erstrebenswert, Championsleague-Sieger zu sein und Oligarchen, Medien und Marketing entziehen dem Fußball ihre Gunst und wenden sich einem neuen Steckenpferd zu, das dann noch erstrebenswerter ist wie heute der Fußball.

Und die UEFA?

Die UEFA bestimmt durch die Art der Verteilung der Fernseheinnahmen die Regel: „Wo Tauben sind, fliegen Tauben zu“. Reiche Vereine werden immer reicher, weil die Fernsehgelder an die jeweiligen Sieger ausgeschüttet werden. Und um die besten Spieler zu bekommen, muss man in der finanziellen Oberliga spielen. Die Gewinne aus den internationalen Bewerben fließen daher praktisch immer zu denselben Vereinen, die dadurch wieder ein Stück wachsen und es den anderen immer unmöglicher machen, in diesem Konzert der Großen eine Rolle zu spielen. Logisch? Man kann das auch durchaus anders handhaben. Es ist das Wesen von Fußball, dass alle großen und erfolgreichen Vereine in ein landesweites Ligensystem mit Hunderten Vereinen eingebettet sind. Die oberste Spielklasse eines Landes beruht auf vielen kleineren Ligen bis hinunter in die letzte „unabsteigbare“ Klasse. Dieses System ist erforderlich, um die Besten der Guten zu ermitteln. Es ist jedem dieser Vereine klar, dass letztlich nur ganz wenige das Land international vertreten, aber ein bisschen stolz darauf können sie alle sein, denn ihre Arbeit ist die Grundlage für die landesweite Fußballbegeisterung und für die Rekrutierung des Nachwuchses für die jeweiligen Top-Ligen eines Landes. Es wäre daher sicher überlegenswert, zumindest Teile der Erlöse aus den internationalen Spitzenbewerben wieder in die Fußballbasis zu investieren und nicht dieses Geld wieder jenen zu geben, die es alljährlich bis in den Fußball-Olymp eines internationalen Bewerbs geschafft haben. Sieger in einem internationalen Wettbewerb zu sein, ist ohnehin ein toller Lohn, der sich für den Verein durch eine Stärkung der Marke in höheren Sponsoreneinnahmen niederschlägt. Weniger Ausschüttung an die Spitzenvereine würde geringere Einnahmen der Spitzenklubs bedeuten und das würde wieder die Kapazität zum Mitbieten am Spielermarkt reduzieren und das wieder die Spielergagen senken helfen.

Die Moral bleibt auf der Strecke

Die obige Aussage von Ronaldo (80 Millionen Pfund seien als Ablösesumme gerechtfertigt) zeigt, dass alle zufällig*) zu Reichtum gekommenen Gruppen (Fußballer, Manager, Oligarchen…) sich dessen entledigt haben, was man gemeinhin als Moral versteht. Diese Gesellschaftsschichten haben die Moral, die unsereins zu einer Wertegemeinschaft zusammenschweißt, längst abgelegt und entziehen sich kraft ihres Vermögens möglichst jeder Verpflichtung gegenüber jenen, die ihnen diesen Reichtum ermöglichen, also uns, indem sie sich möglichst einer Besteuerung und auch jeder Verantwortung entziehen. *) Sollte jemand aus dem Kreis der Leser der Meinung sein, dass Reichtum wohl erworben sein kann, dem empfehle ich die Lektüre des Buchs „Gerechtigkeit siegt“ des Mathematikers der Nation, Rudolf Taschner (Seite  40ff).

Was könnte einen Umschwung bewirken?

Man kann versuchen, innerhalb der Vereinigungen FIFA und UEFA die Regeln wieder einmal zu ändern. Vor zwanzig Jahren wurde es ja auch so verändert, dass eben die heutigen Verhältnisse dabei entstanden sind. Es kann aber auch sein, dass das ohnehin dann passiert, denn sich die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen ändern, durch:
  • ein äußeres Ereignis, eine Krise
  • ein gesellschaftliches Umdenken und damit ein neues Gesellschaftsspiel (Fußball 2.0) für die Massen
  • wahrscheinlich aber beides in Kombination, ein Prozess also
Bei „Krise“ denke ich nicht an die Krise von 2008 oder etwa 100.000 Asylsuchende im auslaufenden Jahr 2015. Nein, es müsste schon etwas sein, das die Menschen veranlasst, sich nicht mehr so stark dem Fußball zu widmen oder mit dem die Spielregeln generell geändert werden, was sich dann automatisch auch auf Verträge von Fußballern auswirken würde. Es muss ja nicht immer ein Krieg sein. Aus der Fußballgeschichte wissen wir, dass Fußball solche „Kleinigkeiten“ wie einen Krieg ohnehin unbeschadet übersteht. Es müsste schon etwas Gewichtigeres sein. Der Klimawandel wäre so ein Kaliber. Vor allem, wenn eine seiner Wirkungen die wäre, dass es in den kommenden Jahrzehnten nicht mehr möglich sein wird, dass Massen von Fußballfans quer über den Kontinent reisen (zum Beispiel wegen dann extrem hoher Flugpreise). Dann würden die großen internationalen Bewerbe wegen äußerer Umstände nicht mehr ganz so spektakulär über die Bühne gehen. Auch eine solche Entwicklung würde die Preissteigerungen bei Fußballstars dämpfend einwirken.

Ein Spiegelbild der Gesellschaft

Der Massensport Fußball bildet die Gesellschaft ab, wie das im antiken Rom die Gladiatorenspiele getan haben. Im Stadion werden Wettbewerbe veranstaltet, die Regeln folgen, wie sie auch in allen anderen Bereichen gelebt werden. Immer gibt es irgendwo ein Ranking, in dem es günstig ist, ganz oben zu stehen; sei es das Wirtschaftswachstum, der Jahresumsatz einer Firma, das BIP eines Landes, der PISA-Test oder der Lebenswert einer Stadt. Der Fußballsport bildet in den verschiedenen Bewerben dieses dauernde Ranking im Spiel ab. Und wenn wir selbst in diesem Spiel nicht ganz oben stehen können, dann soll das wenigstens unser Herzensklub tun, und wir können uns zu einem kleinen Teil als Sieger fühlen. Wenn uns also diese Millionen an Ablösen und Gehältern nicht gefallen, dann wird es wohl notwendig sein, die Gesellschaft und ihre Handlungsmotivatoren zu verändern. Wenn ein solcher Prozess einmal in Gang gesetzt wird, wird sich zwangsweise auch der Charakter des Spiels ändern, das diese Gesellschaft abbildet. Dass die Ablösen und Löhne so hoch sind, liegt also an der fast grenzenlosen freien Verfügbarkeit über Geld. Es ist genau so legitim, eine Mindestsicherung mit 800 Euro pro Monat zu bekommen wie dieselbe Summe pro Stunde. Und man kann ein Vermögen besitzen, mit dem man sein Land vor dem Ruin bewahren könnte, es aber keinerlei gesetzliche oder moralische Verpflichtung gibt, das zu tun. Wir, die Gesellschaft, müssten nur die Regeln geringfügig ändern. Dazu genügt nicht nur ein kleines Alpenland, dazu wäre Solidarität der Staatengemeinschaft vonnöten. Diese neue Regel könnte lauten, dass mehr Geld auch gleichzeitig mehr Verantwortung für das Ganze zur Folge hat. Es würde nichts am Grundrecht auf Besitz ändern. Aber es ergänzt es in dem Sinn, dass jeder, der im Begriff ist, eine weitere Stufe auf der Erfolgsleiter hinaufzuklettern, sich entscheiden muss, ob er dann bereit ist, dieses Mehr an Verantwortung zu übernehmen. Das gilt für Fußballstars ebenso wie für Zuckerwasserhersteller aber natürlich auch für millionenschwere Fußballklubs oder deren Eigentümer. Das deutsche Grundgesetz kennt den Passus „Besitz verpflichtet“. Aber dieser Verpflichtung entziehen sich derzeit die Großen einerseits durch ihre große Finanzkraft, die ihnen Möglichkeiten eröffnet, die den eher sesshaften „Kleinen Leuten“ nicht offen stehen. Dass dazu Staaten solidarisch sein müssen, zeigen unzählige Beispiele. Wenn in früheren Jahrhunderten der Adel praktisch alles besaß und die Bewirtschaftung, ausgehend von König, immer nur geliehen wurde und daher immer brav in einer Hand blieb, so ist das bei den heutigen Oligarchen*) nicht viel anders. Und das gerade in einem Land, in dem vor 100 Jahren die zweite große Revolution gegen dieses System ausgerufen wurde. Es muss also mehr Moral ins Spiel und es muss das Kapital mehr an Verantwortung übernehmen. Wenn das nämlich der Fall ist, dann darf sich ein Herr Abramovic erst dann mit einem Lieblingsspielzeug Fußball beschäftigen, wenn die Bedürfnisse der Menschen in seiner Region Tschukotka (das ist im äußersten Osten von Russland) das erlauben. Tschukotka ist eine rückständige Region, die die Abramovic-Milliarden beschert hat. Roman Abramovic war zwischen 2000 und 2008 Gouverneur des autonomen Kreises der Tschuktschen (das Land ist zwei Mal so groß wie Deutschland, hat aber nur 50.000 Einwohner) und schaffte es, sein Vermögen in England zu parken. Es konnte sich dadurch der russischen Strafverfolgung entziehen.

„Schurkenstaaten“

Die Griechenlandkrise hätte allein durch Übernahme von Verantwortung durch die reiche Oberschicht beseitigt werden können. Stattdessen ist das Vermögen in einen „Schurkenstaat“ geflossen, der sich keinerlei Solidaritätsverpflichtung bewusst war. Und gemeint ist hier nicht allein Griechenland. Es sind alle Arten von Staatskrisen gemeint, bis hin zu unserem österreichischen Schuldenberg vom mehr als 250 Milliarden Euro. Ein richtungsweisendes Urteil wurde in den letzten Tagen in Italien gesprochen, das sowohl Apple als auch Google dazu verpflichten wird, die steuerschonenden Firmenkonstruktionen aufzugeben, die in Italien keine Gewinne ausgewiesen haben und diese Gewinne stattdessen in einen unsolidarischen „Schurkenstaat“ verschoben haben. Und viele betuchte Sportler und Künstler stehen dieser Handlungsweise um nichts nach. Sie wählen ihren Wohnsitz in einem Steuerparadies, um ihren Solidaritätsbeitrag im jeweiligen Heimatland nicht leisten zu müssen. An dieser gesellschaftlichen „Schraube“ muss man drehen, wenn sich an der Situation der Spielergehälter etwas ändern sollte. Wer ist also im Fall von Abramovic der „Schurke“? Sind es in diesem und allen anderen Fällen die Länder wie England, Luxemburg, die Schweiz, Irland, die moralbefreit das Parken von Vermögen ermöglichen, ohne sich Gedanken darüber zu machen, wie es möglicherweise zustande kam.

Zusammenfassung

Mein Schluss aus diesen Überlegungen ist, dass sich die Preisbildung bei den Gehältern von Fußballern erst dann ändern kann, wenn sich die Gesellschaft verändert und solche Geschäfte wie sie jetzt ablaufen nicht mehr will und daher die Regeln, wie wir zusammenleben wollen, ändert. Man kann auch sagen, dass man daran arbeiten muss, die Schere zwischen Reich und Arm zu schließen, statt fast schon im Wochenrhythmus in den Nachrichten mitgeteilt zu bekommen, dass das oberste Prozent der Bevölkerung wieder um einige Prozentpunkt mehr an Vermögen besitzt. Wie weit die Kluft zwischen Arm und Reich (sowohl in der Wirtschaft als auch im Fußball) noch aufgehen muss, damit die Menschen handeln, weiß ich nicht. Anders als bei der Französischen Revolution und später bei der Oktoberrevolution in Russland sind jetzt die Massen sozial abgesichert und nehmen die Ungleichheiten weniger deutlich wahr. „Ein voller Bauch kämpft nicht gern.“ Aber wer weiß, vielleicht zwingen uns die doch deutlich anwachsenden Zahlen von Arbeitslosen ohnehin ein ganz anders Gesellschaftsmodell auf, bei dem das Pendel von der Bevorzugung des Kapitals wieder zu den Arbeitnehmer ausschlagen wird. Finnland ist ein Vorreiter in dieser Frage. Wie wäre das, wenn die Fußball-Millionäre Verantwortung übernehmen müssten? Es wäre ein bisschen so, wie Smog-Alarm, bei dem auf einmal nur mehr die Autos mit ungeraden Kennzeichen fahren dürfen. Wenn also ein Staat droht, handlungsunfähig zu werden, weil ihm das Geld ausgeht, würde diese „Verantwortung für das Ganze“ schlagend werden müssen, damit nicht immer nur der Kleine Mann die ganze Last tragen muss. Aber dazu ist viel zwischenstaatliche Solidarität nötig, von der jetzt noch sehr wenig zu sehen ist und die sich erst unter einem äußeren Druck bilden wird können. Vielleicht dann, wenn es in unseren Breiten keinen Schnee mehr gibt und man mehr als zusammenhalten wird müssen, um zu überleben.

5 Antworten zu “Von Luftballons und Litfaßsäulen”

  1. Prosit 2016 ! Nicht nur 2015 auch 2016 meine absolute Lieblings Rapid Familie Seite ! Alles gute und Bitte so weiter machen !
    Hoffe natürlich noch immer auf positive ( Aboverlängerung 16/17 ) Lösung für Euch! Mfgwg

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